Wie schon häufiger angedeutet, wimmelt es in New York nur so vor interessanten Bibliotheken. Im Folgenden will ich einen chronologischen Überblick über die Häuser geben, die ich innerhalb der sechs Wochen besucht habe, und jeweils kurz erzählen, was mich an ihnen besonders beeindruckt hat. Die Jefferson Market Branch Library habt ihr ja schon kennengelernt. Weiter geht es mit zwei architektonisch sehr interessanten Gebäuden…
Brooklyn Public Library
Als ich an einem Wochenende in Brooklyn unterwegs war, stand ich auf einmal vor diesem Monumentalbau…
…der Hauptfiliale der Brooklyn Public Library. Da Sonntag, hatte die Bibliothek leider geschlossen…
…so konnte ich nicht selbst herausfinden, ob das bombastische und leicht einschüchternde Äußere sich im Inneren des Gebäudes fortsetzt. Eine Frau jedenfalls, die gerade dabei war, Bücher in eine Rückgabebox vor dem Eingang zu werfen, meinte auf meine Nachfrage hin, dass sich hinter dieser Fassade eine ganz normal ausgestattete Public Library verbirgt. Passend dazu wirkte die Rückgabebox auch reichlich unbombastisch. ^^
Das 1941 errichtete Gebäude ist übrigens laut Webseite einem aufgeschlagenen Buch nachempfunden:
The library’s notable architecture was created to resemble an open book, with the spine on Grand Army Plaza and the building’s two wings opening like pages onto Eastern Parkway and Flatbush Avenue.
Interessant doch, dass man die Bibliothek dann sozusagen “von hinten” über den Bückrücken betritt, wo man doch sonst den Eingang eher mit der aufgeschlagenen Vorderseite eines Buches assoziieren würde.
New York Public Library – die mit den Löwen davor…
Leider hatte ich nur sehr wenige Gelegenheiten, mir das Prunkstück der New York Public Library, die berühmte Filiale in der Fifth Avenue / 42. Straße, anzugucken. Es reichte immerhin für einen schnellen Rundgang durch das wunderschöne Haus, bevor es zu Jeff Jarvis ging. Alleine in der Lobby könnte man sich stundenlang aufhalten und sich immer noch nicht satt sehen an der warmen und erhabenen Atmosphäre.
Die aus Filmen wie “The Day after Tomorrow” bekannte Bibliothek fungiert übrigens u. a. als Research Library für Geistes- und Sozialwissenschaften. Das führte auf Grund ihres eigentlichen Namens Stephen A. Schwarzman Building gelegentlich dazu, dass Kollegen während meines Praktikums von den Schwarzmanities sprachen… 😉
Mid-Manhattan Library
Verlässt man das Schwarzman Building und geht nur einen Häuserblock entfernt über die Straße, gelangt man zur Mid-Manhattan Library, einer der vier Zentralbibliotheken der NYPL (nicht zu verwechseln mit den Research Libraries).
Besonders angetan hat es mir dort die World Languages Collection, eine knapp 50 Sprachen umfassende Sammlung, die für sehr viele Sprach- bzw. Kulturkreise einen möglichst repräsentativen Bestand bereithält (nette Gimmicks auch im Netz). Innerhalb der Abteilung dominieren vor allem Spanisch, Russisch, Französisch und Chinesisch. Das ist zumindest im Falle von Spanisch nicht weiter überraschend – sind doch in ganz New York die Latinos unglaublich stark vertreten (Bsp.: Werbeplakate in den U-Bahnen nicht selten zweisprachig auf Englisch und Spanisch).
Gespannt war ich natürlich, was die Bibliothek so aus Deutschland zu bieten hat… in der etwas kleineren Sammlung fand ich einen bunten Querschnitt deutscher Literatur durch alle gängigen Genres und Themengebiete, vom Klassiker bis zu aktuellen Bestsellern. Als Berliner war ich umso erfreuter, sogar Bücher von Wladimir Kaminer und Horst Evers im Regal zu entdecken. ^^
Ansonsten fällt in der Mid-Manhattan Library als zentralem Anlaufpunkt auch besonders auf, in welchen Lebensbereichen Public Libraries in New York überall eine Rolle spielen können: Da gibt es neben dem sehr wertvollen Fremdsprachenbestand nämlich zum Beispiel auch Hilfe bei der Jobsuche, Ünterstützung bei der Steuererklärung oder Informationen rund um das Thema Gesundheit.
Goethe-Institut
Über seinen Standort kann sich das Goethe-Institut in New York wirklich nicht beklagen: Es ist nämlich in sehr repräsentativer Lage auf der Upper East Side direkt gegenüber vom riesigen Metropolitan Museum of Art in einem schmucken Beaux Arts-Gebäude untergebracht.
Die Bibliothek hält über 10.000 Medien auf Deutsch und Englisch bereit (Sprachverteilung ca. 3/1), wobei besonderen Wert auf die Bereiche Literatur, Kunst, Film und Geschichte gelegt werden. Der wichtigste Teil der Arbeit besteht aber, wie ich in einem längeren und sehr netten Gespräch mit der Bibliotheksleiterin Brigitte Doellgast erfuhr, aus der Durchführung von Fachaustauschen zwischen Deutschland und den USA, der Organisation von Ausstellungen und anderen kulturellen Programmen in enger Zusammenarbeit mit verschiedensten Institutionen vor Ort. Vielen von euch wird in dem Zusammenhang wahrscheinlich das Librarian in Residence-Programm etwas sagen, das im letzten Jahr startete und bald mit dem thematischen Schwerpunkt “Lobbyarbeit für Bibliotheken” in die zweite Runde gehen wird. Praktisch: Direkt über dem Goethe-Institut sitzt das German Book Office, einer von weltweit fünf Ablegern der Frankfurter Buchmesse, als weiterer wichtiger Kooperationspartner. Das Goethe-Institut wird allerdings ziemlich bald einen neuen Standort beziehen, weshalb die Bibliothek momentan auch vorübergehend geschlossen hat. Wohin die Reise geht, ist laut Webseite noch nicht ganz klar. Wenn man dabei wieder so ein glückliches Händchen wie mit dem aktuellen Gebäude hat, braucht man sich über die Qualität des neuen Standortes aber glaube ich keine Sorgen zu machen. ^^
Bronx Library Center
Nach Brooklyn und Manhattan nun ab in die Bronx, die ich als Stadtteil übrigens keineswegs als so bedrohlich oder düster erlebt habe, wie sie immer beschrieben wird. Während meines Tagesausflugs habe ich in zwei sehr unterschiedlichen Bibliotheken vorbeigeschaut…
Das Bronx Library Center, die größte Public Library des Stadtteils, verfügt über eines der modernsten Bibliotheksgebäude, das ich innerhalb der zwei Monate in den USA gesehen habe. Es ist mit gerade mal drei Jahren auch noch sehr jung. Auf sechs Etagen finden sich neben Kinder-, Jugend- und Erwachsenenabteilungen auch einige besondere Services. Sehr umfangreich ist zum Beispiel das Angebot an Sprachkursen für Erwachsene im Center for Reading and Writing – ein Bereich, den man in Deutschland eher bei den Volkshochschulen verorten würde. Daneben bietet die Bibliothek auch eine Reihe von Informations- bzw. Medienkompetenzkursen an, die ebenfalls breiten Zulauf finden. Im Bronx Library Center ist außerdem das Latino and Puerto Rican Cultural Center angesiedelt, das mit einem zweisprachigen Ausleih- und Präsenzbestand, Ausstellungen und weiteren Veranstaltungen die Kultur der Latinos und Puerto Ricaner sowie ihr Leben in den Vereinigten Staaten reflektiert.
Im gesamten Gebäude herrscht durch das frische Design, viele Fenster und Sitzgelegenheiten eine sehr gemütliche Atmosphäre – im dritten Stock kann man sich bei gutem Wetter sogar auf eine sehr schicke Leseterasse mit Blick über die Bronx setzen. Der Eingangsbereich ist geprägt durch vier Aufsteller mit Neuanschaffungen, die von der Art der Präsentation her (Frontalansicht, Highlights) sehr an einen Buchladen erinnern. Im Hintergrund seht ihr eine elektronische Anzeige, die über der Informationstheke angebracht ist und auf aktuelle Veranstaltungen hinweist. In diesem Fall geht es um ein sehr spezielles Event, das auch am schwarzen Brett der Bibliothek beworben wird…
Seit einiger Zeit bietet das Bronx Library Center an zwei Tagen in der Woche Sessions mit Nintendos Wii und Spielen wie Wii Fit oder Wii Sports an. Dabei richtet sich die Bibliothek nicht etwa an Kinder oder Jugendliche, sondern spieziell an Erwachsene und Senioren (Näheres dazu auch hier). Coole Sache.
Auch in den Bereichen Nachhaltigkeit und “Grüne Bibliothek” ist das Bronx Library Center sehr aktiv. Die Bibliothek erhielt für ihre hohen Standards Anfang 2007 sogar ein entsprechendes Zertifikat vom U.S. Green Building Council. Auf jeder Etage kann man übrigens anhand eines Übersichtsplans genau nachverfolgen, welche umweltfreundlichen Materialien, Bauweisen usw. jeweils beim Bau des Hauses verwendet wurden.
Belmont Branch Library
Keine zwanzig Minuten vom Bronx Library Center enfernt glaubt man nicht mehr, sich in Teilen von New York zu befinden… vielmehr umweht einen auf einmal ein Hauch von Italien. Denn man steht mitten in der Arthur Avenue, dem zweiten Little Italy New Yorks, was im Gegensatz zum sehr touritifizierten Manhattaner Pendant noch viel von seiner Ursprünglichkeit bewahrt hat. Hier hört man von allen Seiten noch Italienisch, Bäckereien, Delikatessenläden und Fischgeschäfte wechseln sich ab mit Cafés und Pizzerien.
Mit der Belmont Branch Library ist auch eine Bibliothek in dieser italienischen Insel angesiedelt. 1981 erbaut und eingerichtet, ist das Bibliotheksgebäude heutzutage zwar nicht mehr auf dem allerneuesten Stand…
…mit ihrem sehr ausgeprägten Italienbezug besitzt die Bibliothek allerdings etwas ziemlich Besonderes in einer Public Library-Landschaft, die sonst eher auf die latino-amerikanische Bevölkerungsschichten ausgelegt ist:
Also known as The Enrico Fermi Cultural Center, the three-floor branch was built as a result of the local community’s strong desire and tireless efforts to create a facility dedicated to Italian American heritage. In addition to offering a full range of services for adults, young adults, and children, the branch also offers special programming, exhibits, and extensive collections for borrowing and reference related to Italian and Italian American culture, language, and history.
Wer also in der Arthur Avenue unterwegs ist, sollte zwischen Focaccia und Espresso also unbedingt auch einen kleinen Abstecher in die Belmont Branch Library machen!
Queens Central Library
All das, was ich bislang über Sprachkollektionen und multikulturelle Bibliotheksangebote erzählt habe, wird von der Queens Library (so heißt das System von Public Libraries dort) weit überboten. Und das ist auch angebracht, denn wie man auf der Webseite erfährt…
Almost one of every two Queens residents hails from another country and more than half of the borough’s residents speak a language other than English at home. The City’s most ethnically diverse borough, Queens is a place in which people of more than 160 nationalities work toward common goals.
Aus dieser Situation heraus initiierte man 1977 das sogenannte New Americans Program (NAP), das sich fortan um spezielle Angebote für die vielen Zugewanderten in Queens kümmerte. Ich bin im Nachhinein sehr froh, dass ich die Gelegenheit hatte, für einen Tag lang einen konzentrierten Einblick in die Arbeit der Kollegen vor Ort zu bekommen. Denn das, was Fred Gitner (Koordinator des NAP, über den der Kontakt zustande gekommen war) und sein Team dort auf die Beine stellen, ist einfach bemerkenswert.
Die Basis für die Arbeit des NAP ist ein unglaublich hoher Grad an Vernetzung innerhalb der vielen Communities in Queens. Man hat über Jahre ein dichtes Netzwerk mit Vereinen, Assoziationen und Vertretungen einzelner Sprach- bzw. Kulturgemeinschaften aufgebaut und pflegt dies kontinuierlich weiter. Diese Verbindungen kommen den Bibliotheksbenutzern zum Beispiel in Form einer Community Database zugute, in der diese systematisch die passenden Kontakte für ihre Bedürfnisse suchen können.
Darüber hinaus wird laufend verfolgt, wie sich die sprachliche Zusammensetzung einzelner neighborhoods verändert. Dazu wurde eigens eine Arbeitsstelle geschaffen. Auch mit anderen Ländern besteht ein reger Kontakt, was den Austausch von Best Practices, aber auch den Bezug zu Sprache und Kultur allgemein angeht (der Bucheinkauf für die internationalen Kollektionen spielt in dem Zusammenhang zum Bespiel eine Rolle).
Im Endeffekt dienen all das Wissen über die Communities in Queens und das Netzwerk an Kontakten vor allem dem Kernbereich in der Arbeit des NAP: dem Organisieren abgestimmter kultureller und sonstiger Veranstaltungen für alle möglichen Sprachgruppen innerhalb Queens’. Falls sich also zum Beispiel in den letzten Jahren in einem bestimmten Stadtteil überdurchschnittlich viele Koreaner angesiedelt hätten, würde das NAP relativ schnell davon erfahren und reagieren, indem es Kontakte zu der Community aufbauen, einen koreanischen Buchbestand testweise dorthin verlagern und in Abstimmung mit dem bestehenden Netzwerk spezielle Veranstaltungen vor Ort organisieren würde.
Interessant übrigens: Jeder Mitarbeiter beim New Americans Program spricht mindestens eine weitere Sprache außer Englisch. Auf diese Weise sind in dem kleinen Team in der alltäglichen Arbeit momentan u. a. Spanisch, Russisch, Französisch, Jiddisch und Chinesisch abgedeckt – sehr praktisch.
Ich kann hier nicht alle interessanten Dienstleistungen der Queens Library beschreiben oder auch nur aufzählen. Werft für mehr Informationen einfach mal einen Blick auf die Webseite und stöbert ein bisschen herum (zum Beispiel hier oder hier). Schon den Umstand, dass man sich Basisinformationen auf der Startseite in sechs Sprachen anzeigen lassen kann, finde ich hervorhebenswert (interessant zum Thema Mehrsprachigkeit ist übrigens auch WorldLinQ).
Queens Library – Flushing
Nach dem Queens Library Center bekamen wir auch noch eine kurze Führung durch die Queens Library in Flushing, einem weiteren Bonbon, was Ausstattung und Service angeht. 😉
Flushing, laut Webseite sogar die größte Bibliothek im ganzen Staat New York, fungiert ganz ähnlich wie das Bronx Library Center als modern eingerichtetes und vielseitiges Communitycenter. Nur der Wuselfaktor schien bei unserem Besuch noch ein Stück größer als in der Bronx zu sein, was daran liegen mag, dass die Bibliothek an einem Verkehrsknotenpunkt liegt. Die nähere Umgebung ist übrigens stark asiatisch dominiert.
Wenn ich weiter oben in einem Beispiel davon sprach, dass man einen koreanischen Buchbestand testweise in eine andere Gegend von Queens verlagert, dann käme dieser (wie auch jede andere Sprache) sicherlich aus Flushing. Hier ist das International Resource Center angesiedelt, das Materialien in über 50 Sprachen vorrätig hat. Auch in diesem Fall spielt zum Teil wieder das intensive networking der Queens Library eine Rolle: Drei Spezialkollektionen (The C.Y. Han Collection on Chinese Culture, Window on dynamic Korea, The Window of Shanghai) sind der Bibliothek nämlich aufgrund von Kooperationen von anderen Einrichtungen bzw. Stiftungen geschenkt worden (siehe Übersicht).
Die Führung durch die Bibliothek endete mit einer ungewöhnlichen Aktion: Wir gingen die Treppe ins Kellergeschoss hinab, in dem sich neben Klassenräumen für Sprach- und Computerkurse ein großes Auditorium für besondere Anlässe befindet. An jenem Tag war dort ein Zirkus zu Gast, der kostenlos vor einem ausgefüllten Saal mit ca. 200 Kindern spielte. Da blieben sogar einige von den übrigen Bibliotheksnutzern hängen. “So muss man das als Bibliothek machen!”, dachte ich mir da nicht zum ersten Mal an diesem Tag…